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Islamistische Gefährder – und der Abschiebungsschutz

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Die drohende Verhängung einer Todesstrafe begründet kein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, wenn die Todesstrafe im Zielstaat der Abschiebung stets in eine lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe umgewandelt wird und der Verurteilte eine Überprüfung der Strafe mit Aussicht auf Herabsetzung der Haftdauer bewirken kann.

Die drohende Verhängung der Todesstrafe begründet im Fall eines tunesischen Staatsangehörigen kein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot. Ihm droht weder die Vollstreckung der Todesstrafe noch die faktische lebenslange Inhaftierung ohne Überprüfungsmöglichkeit infolge der Nichtvollstreckung der Todesstrafe.

Es steht nicht zu befürchten, dass eine gegen ihn etwaig verhängte Todesstrafe vollstreckt würde. Dies steht zur Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts aufgrund des in Tunesien seit Jahren bestehenden Moratoriums und der Ausführungen in der Verbalnote des tunesischen Außenministeriums vom 11.07.2017 fest.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK liegt auch insoweit nicht vor, als dem Ausländer die Möglichkeit eröffnet ist, die nicht vollstreckte Todesstrafe, die faktisch wie eine lebenslange Freiheitsstrafe wirkt, mit der Aussicht auf Entlassung überprüfen zu lassen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verbietet die Europäische Menschenrechtskonvention grundsätzlich nicht, einen erwachsenen Straftäter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Ebenso wenig verstößt es gegen die Konvention, wenn ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter seine Strafe bis zu seinem Lebensende verbüßen muss. Gegen Art. 3 EMRK kann indes eine de jure und de facto nicht reduzierbare lebenslange Freiheitsstrafe verstoßen. Reduzierbar in diesem Sinne ist eine lebenslange Freiheitsstrafe dann, wenn sie überprüft werden kann und eine Aussicht auf Entlassung für den Gefangenen besteht. Wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte des Weiteren festgestellt hat, kann ein Gefangener nur in Haft gehalten werden, solange es legitime Strafgründe für die Inhaftierung gibt, die Bestrafung, Abschreckung, Schutz der Öffentlichkeit und Resozialisierung einschließen. Die Überprüfung, die erforderlich ist, damit eine lebenslange Freiheitsstrafe reduzierbar ist, soll den innerstaatlichen Behörden erlauben zu erwägen, ob eine Änderung des Gefangenen und ein Fortschritt in Richtung seiner Resozialisierung von solcher Bedeutung sind, dass die weitere Inhaftierung nicht länger durch legitime Strafgründe gerechtfertigt ist. Außerdem haben zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte ein Recht darauf, schon bei Strafantritt zu wissen, was sie tun müssen, um für eine Entlassung in Betracht gezogen zu werden, und unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist. Es bedarf mithin objektiver und vorher bestimmter Kriterien, unter welchen Voraussetzungen eine Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Betracht kommt.

Das Bundesverwaltungsgericht kann es dahinstehen lassen, ob es im Falle der (isolierten) Verhängung einer Todesstrafe rechtlich geboten ist, diese (nicht vollstreckte) Todesstrafe wie eine lebenslange Freiheitsstrafe zu behandeln, und daher die eben dargestellten Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anzuwenden sind. Der Gerichtshof hat sich bisher zu dieser Frage nicht ausdrücklich geäußert. In der Rechtssache Kaboulov/Ukraine hat er seine rechtliche Prüfung bei einer aufgrund eines Moratoriums nicht vollstreckten Todesstrafe indes nicht auch darauf erstreckt, ob die (faktisch) als lebenslange Freiheitsstrafe anzusehende Strafe konventionskonform ist. Selbst wenn man die nicht vollstreckte Todesstrafe wie eine lebenslange Freiheitsstrafe behandeln würde und wie bei einer solchen die Möglichkeit der Überprüfung der Strafe und Aussicht auf Entlassung voraussetzen müsste, stünde dies hier der Abschiebung nicht entgegen. Der Ausländer hat nämlich auch für den Fall der Verhängung der Todesstrafe im Ergebnis eine hinreichende, dem in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 3 EMRK angestrebten Schutzniveaus genügende Gewähr, dass er eine Überprüfung seiner Strafe bewirken kann.

Dies folgt aus dem in den Art. 353 und 354 der tunesischen Strafprozessordnung (CPP) verankerten Recht auf eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung in Kombination mit dem in den Art. 371 und 372 CPP statuierten Begnadigungsrecht des Staatspräsidenten.

Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass – im Falle einer verhängten Todesstrafe – sich eine hinreichende Überprüfungsmöglichkeit nicht allein aus den Art. 353 und 354 CPP ergibt. Diese Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:

Jedem, der zu einer oder mehreren Freiheitsstrafen verurteilt worden ist und durch sein Verhalten in der Haft seine Änderung unter Beweis gestellt hat oder dessen Entlassung als im Interesse der Gemeinschaft beurteilt wurde, kann die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung eingeräumt werden.

Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung kann nur verurteilten Personen gewährt werden, die bereits einen Bruchteil der Strafe oder die Gesamtstrafe verbüßt haben, gleich oder größer als

)) nach Verbüßung der Hälfte der Strafdauer für die Erstverurteilten. Die Dauer der von der verurteilten Person verbüßten Strafe darf jedoch nicht weniger als drei Monate betragen;

)) nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafdauer für verurteilte Personen mit Vorstrafen. Die Dauer der von der verurteilten Person verbüßten Strafe darf jedoch nicht weniger als sechs Monate betragen.

“Die Bewährungszeit beträgt fünfzehn Jahre für diejenigen, die zu lebenslanger Haft verurteilt werden.”

((Geändert durch Artikel 3 des Gesetzes Nr. 89-23 vom 27.02.1989)).

Nach diesen Bestimmungen kann ein in Tunesien zu einer Freiheitsstrafe Verurteilter (auf entsprechenden Antrag des Häftlings oder seines Bevollmächtigten hin) auf Bewährung freigelassen werden, wenn dieser durch sein Verhalten in der Haft seine Änderung unter Beweis gestellt hat (“gute Führung”) oder die Entlassung im Interesse des Gemeinwohls liegt.

Sie genügen den Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an die Überprüfbarkeit einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Es bestehen objektive und vorher bestimmte Kriterien, die der Betroffene bereits bei Verhängung der Freiheitsstrafe kennt. Diese Kriterien knüpfen unter anderem auch an eine erfolgte Resozialisierung an. Die Art. 353, 354 CPP gelten gemäß Art. 4 LAT auch für Personen, die auf der Grundlage des Antiterrorismusgesetzes vom 07.08.2015 verurteilt wurden (Auskunft des Auswärtigen Amtes). Das Auswärtige Amt hat zudem mitgeteilt, dass von dieser Möglichkeit der Strafrestaussetzung in der Praxis auch Gebrauch gemacht wird. Damit besteht auch de facto für nach dem Antiterrorismusgesetz vom 07.08.2015 verurteilte Personen die Möglichkeit, einen Antrag auf Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung zu stellen und die Freiheit wiederzuerlangen.

Ausweislich des Wortlauts der Art. 353 und 354 CPP und der Auskunft des Auswärtigen Amtes finden diese Vorschriften jedoch nur auf Personen Anwendung, die zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sind. Im Falle einer verhängten Todesstrafe – wie sie für den Ausländer im Raum steht – sind diese Normen nicht unmittelbar anwendbar. Die Strafaussetzungsvorschriften kommen dem Ausländer aber nach der Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts in der Sache deshalb zugute, weil Todesstrafen im Wege der Begnadigung (Art. 371 f. CPP) früher oder später in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt werden (Auskunft des Auswärtigen Amtes). Die Todesstrafe wird durch einen formellen Gnadenakt, der durch den Präsidenten der Republik Tunesien ausgeübt wird, in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Dies gilt nach der Auskunftslage für jede verhängte Todesstrafe. Jedes Todesurteil wird zwingend und automatisch dem tunesischen Justizministerium übermittelt, das nach Anhörung der Gnadenkommission dem Staatspräsidenten einen Bericht zur Ausübung seines Gnadenrechts zuleitet. Durch den Gnadenakt wird die Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Nach der Umwandlung der Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe finden die Art. 353 und 354 CPP Anwendung und eröffnen die bereits für ausreichend befundene Überprüfungsmöglichkeit.

CPP räumt dem tunesischen Staatspräsidenten auf der Grundlage des Berichts des Staatssekretärs für Justiz nach Anhörung der Gnadenkommission das Recht zur Begnadigung ein. Dieses Recht bezieht sich nach Art. 371 CPP sowohl auf die Umwandlung einer Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe als auch auf die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung. Für die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung besteht das Begnadigungsrecht neben und ergänzend zu den Vorschriften der Art. 353 und 354 CPP.

Des Weiteren bezieht sich die Begnadigungspraxis auch auf die Umwandlung von Todesstrafen in lebenslange Freiheitsstrafen. Aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes geht hervor, dass als Folge des Moratoriums Begnadigungen auch bei Verurteilungen zum Tode nicht nur möglich sind, sondern der “gängigen Rechtspraxis” entsprechen, und zwar auch im Falle von aufgrund terroristischer Delikte verurteilten Straftätern. Nach den Erläuterungen des “Chef du Cabinet” des tunesischen Justizministers besteht in Tunesien Konsens darüber, dass in der Praxis Todesurteile durch Gnadenentscheidungen des Staatspräsidenten als lebenslange oder gar zeitige Freiheitsstrafen behandelt werden.

Das tunesische Justizministerium hat in seinem Schreiben über Gespräche unter anderem mit Vertretern des deutschen Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz ausgeführt, dass im Jahr 2012 insgesamt 122 Todesurteile in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt worden sind. Unter den Begünstigten befanden sich auch wegen terroristischer Straftaten Verurteilte. Wie dargelegt finden auf diesen Personenkreis sowohl die Vorschriften über die vorzeitige Haftentlassung nach den Art. 353 f. CPP Anwendung als auch die vorzeitige Haftentlassung im Wege der Begnadigung gemäß Art. 371 f. CPP. An der Richtigkeit der diesbezüglichen Auskunft des Auswärtigen Amtes hegt das Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel. Der Ausländer macht insoweit unter Vorlage eines Ausschnitts aus der Zeitschrift “Leaders” vom 10.05.2013 zwar geltend, dass die meisten der 122 begnadigten Personen nicht wegen terroristischer Straftaten, sondern in Verschwörungsfällen gegen die Staatssicherheit zum Tode verurteilt worden seien. Dies vermag nach Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts die Auskunft des Auswärtigen Amtes aber nicht zu entkräften. Denn die in Art. 14 ff. LAT aufgeführten terroristischen Straftaten umfassen auch Delikte gegen die innere und äußere Staatssicherheit. (z.B. Verursachung von Schäden am Sitz einer diplomatischen, konsularischen oder internationalen Organisation; Schädigung lebenswichtiger Ressourcen, Infrastruktur, Verkehrs- und Kommunikationseinrichtungen, vgl. Art. 14 LAT).

Dass bislang keine Begnadigungen von Häftlingen erfolgt sind, die wegen Verbrechen im Zusammenhang mit Terrorismus nach dem neuen Antiterrorismusgesetz zum Tode verurteilt wurden, steht der Annahme einer künftigen Anwendung der generellen Rechtspraxis der Begnadigung mit der Folge der Umwandlung von Todesstrafen in lebenslange Freiheitsstrafen auch in Bezug auf diesen Personenkreis nicht entgegen. Dies ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts darauf zurückzuführen, dass die entsprechenden Verurteilungen neueren Datums sind und es für Begnadigungen nur wenige Jahre nach Einführung des Antiterrorismusgesetzes ersichtlich noch zu früh ist. Da dieses Gesetz erst seit dem 7.08.2015 in Kraft ist und bei einer Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe ein Antrag auf Strafaussetzung gemäß den Art. 353 und 354 CPP frühestens nach 15 Jahren Haft gestellt werden kann, können noch keine Präzedenzfälle zu diesem Gesetz vorliegen. Darüber hinaus entspricht es wie dargelegt Art. 4 LAT i.V.m. Art. 371 f. CPP, dass das Begnadigungsrecht des Staatspräsidenten für nach dem Antiterrorismusgesetz verurteilte Straftäter gilt.

Soweit in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16.01.2017 ausgeführt wird, dass von dem Begnadigungsrecht Personen ausgenommen seien, die wegen terroristischer Straftaten verurteilt worden sind, wird dies in den jüngsten Auskünften des Auswärtigen Amtes aktualisierend korrigiert. Dem Lagebericht habe eine Äußerung aus dem politischen Raum zugrunde gelegen, die den tunesischen Staatspräsidenten aber nicht binden könne.

Diese Auskunftslage widerspricht nicht den in mehreren von dem Ausländer vorgelegten Zeitungsartikeln enthaltenen Meldungen, wonach ein Berater des tunesischen Staatspräsidenten oder auch dessen Staatssekretär geäußert haben sollen, dass einem terroristischen Straftäter keine Amnestie gewährt werden könne, wobei in einem Fall auch der Name des Ausländers erwähnt worden sein soll. Zum einen schließt eine Amnestie, die auch schon vor einer Verurteilung ergehen kann, nicht eine individuell ergehende präsidentielle Gnadenentscheidung nach einer strafgerichtlichen Verurteilung und Verbüßung eines nennenswerten Teiles der Strafe aus. Zum anderen kann auch eine von einem Dritten geäußerte Auffassung den Staatspräsidenten nicht binden und eine von diesem geübte Rechtspraxis infrage stellen. Schließlich können die Aussagen auch dahin ausgelegt werden, dass derzeit keine Amnestie für terroristische Straftäter in Betracht komme und auch der Ausländer hierzu gerechnet werde. Das sagt noch nichts darüber aus, dass eine Gnadenentscheidung nach Verstreichen eines Zeitraums möglich ist, der der 15-jährigen “Bewährungszeit” (im Sinne von Mindestverbüßungsdauer) nach Art. 354 CPP entspricht. Das Bundesverwaltungsgericht folgt auch in Ansehung anders lautender oder auslegbarer Pressemeldungen der eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20.03.2018, wonach “jede verhängte Todesstrafe” durch Gnadenakt des Staatspräsidenten in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wird. Das Auswärtige Amt kann über seine Botschaft in Tunesien die Rechtslage und deren tatsächliche Umsetzung kompetent beurteilen, das Bundesverwaltungsgericht hat das Auswärtige Amt auf Widersprüche hingewiesen, wie sie sich aus seinem von dem Ausländer angeführten Lagebericht vom 16.01.2017 und Äußerungen tunesischer Stellen ergeben. Das Auswärtige Amt hat mit seiner Auskunft vom 20.03.2018 dazu klar Stellung bezogen und ausgesagt, dass jede verhängte Todesstrafe in eine lebenslange oder zeitige Freiheitsstrafe umgewandelt wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat keinen durchgreifenden Anlass, an dieser eindeutigen Aussage zu zweifeln.

Ebenso wenig streitet gegen die hier vorgenommene Bewertung der Erkenntnislage durch das Bundesverwaltungsgericht, dass das Auswärtige Amt in seiner Auskunft Folgendes ausgeführt hat: “Das präsidentielle Begnadigungsrecht (Art. 371 ff. CPP) findet nach den vorgenannten Vorschriften auch auf Personen Anwendung, die nach dem Antiterrorismusgesetz verurteilt wurden. Allerdings wurde Justizminister J. im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Reform dieses Rechts zuletzt im Januar 2017 zitiert, dass man weiterhin an der Nichtbegnadigung von Terroristen festhalten werde. Dies war allerdings eine politische Äußerung, die den Präsidenten nicht präjudizieren kann. In der Vergangenheit hat es laut Auskunft von Herrn N. Begnadigungen von aufgrund terroristischer Taten verurteilten Straftätern in Tunesien gegeben. Herr N. betonte ferner ausdrücklich, dass in keiner Weise vorherzubestimmen sei, wie über ein Begnadigungsersuchen in vielen Jahren entschieden werde. Der Wegfall des Gefühls der terroristischen Bedrohung könne sicherlich dazu beitragen, dies eher ins Auge zu fassen.” Dies bedeutet entgegen der persönlichen Einschätzung des Leiters der Abteilung für Strafrecht und Internationale Zusammenarbeit im tunesischen Justizministerium N. nicht, dass auch eine Umwandlung einer Todesstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe dauerhaft ausgeschlossen oder ungewiss sei. Die Strafaussetzung einer umgewandelten Todesstrafe ist dann aber nicht nur nach den Regeln des Gnadenrechts möglich, sondern rechtlich vorherbestimmt durch die Art. 353 f. CPP.

Auf dieser Erkenntnisbasis erfüllt auch der – bei zum Tode Verurteilten – zunächst erforderliche Gnadenakt des Präsidenten die Anforderungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an die Überprüfbarkeit einer (hier nach erwartbarer Umwandlung einer etwa verhängten Todesstrafe) lebenslangen Freiheitsstrafe. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits betont, dass eine Begnadigung nicht von vornherein untauglich ist, um dem Verurteilten eine Chance auf Wiedererlangung der Freiheit einzuräumen. Vielmehr hat er unter Berufung auf die Doktrin des Beurteilungsspielraums (“margin of appreciation”) darauf verwiesen, dass es nicht seine Aufgabe sei vorzuschreiben, in welcher Form die Überprüfung stattzufinden habe. Erforderlich ist aber, dass vorhersehbar ist, unter welchen Voraussetzungen von diesem Gnadenrecht Gebrauch gemacht wird beziehungsweise werden kann. Es bedarf objektiver und vorher bestimmter Kriterien. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Werden alle Todesurteile – wie es in Tunesien der Fall ist – in lebenslange Freiheitsstrafen umgewandelt, ist für den Betroffenen bereits bei der Verurteilung absehbar, dass sein Todesurteil, dessen Vollstreckung er wegen des Moratoriums von Anbeginn nicht zu befürchten hat, – früher oder später – auch formell in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt werden wird und er danach die Möglichkeit der Bewährung unter den vorgesehenen Bedingungen (Art. 353 und 354 CPP) hat. Dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aufgestellten Grundsatz, wonach ein zu lebenslanger Haft verurteilter Gefangener ein Recht hat, von Anfang an zu wissen, was er tun muss, um für eine Entlassung in Betracht gezogen zu werden und unter welchen Bedingungen diese erfolgen kann, einschließlich der Frage, wann eine Überprüfung stattfindet oder beantragt werden kann, wird hier Rechnung getragen. Wie sich aus dem tunesischen Begnadigungsrecht ergibt, kann der Staatspräsident, nachdem ihm das Justizministerium einen Bericht zur Ausübung seines Gnadenrechts zugeleitet hat, jederzeit die Begnadigung aussprechen. Hieraus folgt, dass es dem Verurteilten freisteht, jederzeit eine Überprüfung seiner Haft zu beantragen. Zudem ergibt sich aus Art. 354 CPP, dass die “Bewährungszeit” (im Sinne von Mindestverbüßungsdauer) für Personen, die zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, 15 Jahre beträgt. Diese Regelung bietet einen Anhaltspunkt auch für die Ausübung des Begnadigungsrechts. Wie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu entnehmen ist, entspricht eine solche Vorgehensweise dem geforderten Überprüfungsmechanismus. Der Gerichtshof führt aus, dass es ihm nicht zustehe, darüber zu spekulieren, wie effektiv ein solches System, das ein Mindestmaß an Regulierung aufweist, in der Praxis generell funktionieren mag:

“Turning to the facts of the present case, the Court does not consider that the concern expressed in Vinter regarding indeterminacy, and the repercussions of this for a whole life prisoner can be said to arise for the applicant at present. As is stated in section 30 of the 1997 Act, the Secretary of State may order release ‘at any time’. It follows, as the Government have confirmed, that it is open to the applicant to trigger, at any time, a review of his detention by the Secretary of State. It is not for the Court to speculate as to how efficiently such a system, which has minimum regulation, might generally operate in practice. It is the individual situation of the applicant that is the focus of these proceedings, and he has not suggested that he is prevented or deterred from applying to the Secretary of State at any time to be considered for release. Before concluding, though, the Court refers once again as it did in the Vinter case to the relevant comparative and international materials that show ‘clear support for the institution of a dedicated mechanism guaranteeing a review no later than twenty-five years after the imposition of a life sentence, with further periodic reviews thereafter’.”

Bei dieser besonderen Ausgangslage ist hier auch hinzunehmen, dass es – soweit ersichtlich – an normierten Vorgaben fehlt, in welcher Art und Weise von dem Begnadigungsrecht Gebrauch gemacht werden soll. Die über eine lange Zeit gebildete Praxis bietet eine hinreichend verlässliche Gewähr für die Umwandlung in eine lebenslange Freiheitsstrafe. Eine absolute Sicherheit ist nicht zu fordern, weil es eine solche nicht geben kann. Selbst wenn das Begnadigungsverfahren eine dezidierte rechtliche Ausgestaltung erfahren hätte, wäre nicht sicher auszuschließen, dass die entsprechenden Regelungen zukünftig geändert werden. Ebenso wenig wie mit der Abschaffung des Moratoriums zu rechnen ist, ist auch nicht davon auszugehen, dass die über lange Jahre geübte Begnadigungspraxis geändert wird. Hierfür gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte.

Dem steht das Vorbringen des Ausländers nicht entgegen, demzufolge die Vorschriften der Art. 353 f. CPP bisher in der Praxis noch nicht angewendet wurden, sondern Strafumwandlungen oder -erlasse immer durch Gnadenentscheidungen des Präsidenten erfolgten. Denn ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter hat Anspruch auf Überprüfung der Haftfortdauer nach jenen Vorschriften. Wenn seinem Anliegen in der Praxis jeweils durch Begnadigung Rechnung getragen wird, stellt das die praktische Wirksamkeit der gesetzlichen Regelungen der tunesischen Strafprozessordnung nicht infrage.

Auch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (in Auslieferungsfällen bei drohender Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe) verlangt, dass in dem Rechtssystem des ausländischen Staates jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit bestehen muss. Verfahrensrechtliche Einzelheiten, mit denen diese praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit in Deutschland gestärkt und gesichert wird, müssen dafür nicht erfüllt werden. Maßgeblich ist nur, dass in einem anderen Rechtssystem jedenfalls eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit besteht. Dabei kommt es auf die Gesamtbeurteilung der Ausgestaltung des jeweiligen Verfahrens an. Es besteht auch keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit einer Begnadigung in einem justizförmigen Verfahren, sofern das Begnadigungsrecht eine praktische Chance auf Wiedererlangung der Freiheit eröffnet. Diesen Anforderungen genügen die Art. 353 und 354 CPP und die Art. 371 und 372 CPP in ihrer konkreten Anwendung und ihrem Zusammenwirken. Die Möglichkeit der Begnadigung und der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung sichern dem Ausländer auch im Falle einer Verhängung der Todesstrafe die praktische Chance auf Wiedererlangung seiner Freiheit.

Die dem Ausländer neben der Verhängung einer (nicht vollstreckten und später in eine Freiheitsstrafe umgewandelten) Todesstrafe drohende Verhängung einer originär lebenslangen oder zeitigen Freiheitsstrafe vermag nach dem Vorstehenden ebenfalls ein Abschiebungsverbot nicht zu begründen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verbietet die Europäische Menschenrechtskonvention es grundsätzlich nicht, einen erwachsenen Straftäter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Auch verstößt es nicht gegen die Konvention, wenn ein zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilter seine Strafe bis zu seinem Lebensende verbüßen muss. Erforderlich ist jedoch, dass die Möglichkeit besteht, dass die Strafe überprüft wird.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 26. März 2018 – 1 VR 1.18


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